Freitag, 2. Januar 2009

2 Zwischen Himmel und Erde

Ich bin auf dem Weg nach Bodø, Norwegen.
Gerade überfliegen wir die Küste, es könnte der Darß sein.
Bizarr spiegelt sich die Sonne im Wasser, lässt es eben und still erscheinen.Diese Reise ist ein Aufbruch, eine Flucht vor Vergangenem und eine Flucht vor Gegenwärtigem.
Am Ende dieser 10 Tage wird sich zeigen, wohin alle Fluchten führen.
Ich bin so neugierig darauf, was die Zeit mit mir machen wird, die so völlig ungewiss vor mir liegt. Alles was ich hab, ist eine Telefonnummer, einen Namen und die Zusage per E-Mail, als Freiwillige bei der Nordland Musikkfestuke arbeiten zu können.
Mein Flug nach Olso startet in Berlin Schönefeld mit Verspätung.
Na klar, wie sollte es anders sein.
Ich habe wieder das gleiche Gefühl, dass einen befällt, wenn frau an einer Supermarktkasse steht, bei der sich ewig nichts bewegt. Irgendwie lande ich immer in Zügen, die einen Lokschaden haben; auf Strassen, in denen gerade ein dicker LKW alles versperrt, weil er ausladen muss; an besagten Kassen an denen die Papierrollen gewechselt werden müssen, eine ältere Dame die gekaufte Tischdecke reklamiert oder die EC-Karte nicht funktioniert.
Oder ich lande in Flügen, die zu spät starten. (auch mein Rückflug von Bologna Forli (Italien) nach Frankfurt vor 10 Tagen lies sich 30 min mehr Zeit). Das wäre ja auch alles so weit kein Grund, unruhig zu werden. Unruhe meldet sich erst, wenn nach der Verspätung noch was kommt. In diesem Fall mein Anschlussflug von Oslo nach Bodø. Ich habe regulär 70 min Aufenthalt, schon 10 min weniger als bei der Reiseplanung von der Fluggesellschaft Norwegian verlangt wird. Jetzt bleiben von den 70 min nur noch 40.
Und das sind definitiv zu wenig, um nicht unruhig zu werden. 40 min wären genug, um von einem Gate aus- und am anderen Gate einzuchecken. Ohne Gepäck! Aber mit Gepäck??
Wass soll’s, jetzt bin ich hier in der Luft. Genieße das Gefühl, diesen halbrunden Planeten losgelöst unter mir zu wissen. Über mir, um mich herum der Himmel, das Licht.
Wir haben klare Sicht. Das neue Ufer löst den schnellen Flug über das Meer ab. Malmö, Kopenhagen gleiten vorbei. Es ist ein ruhiger Flug ... bis auf den Start. Die Babys an Bord gaben ein Konzert. Als ahnten diese kleinen Wesen, dass gleich etwas ungewöhnliches passieren sollte in ihrem noch so kurzen Leben, begleiteten sie lautstark die Fahrt über das Rollfeld in Berlin Schönefeld. Als wir abgehoben hatten, wurden sie schlagartig wieder ruhig, war alles wieder gut. Wir fuhren ewig über das Rollfeld zur Startbahn. Vorbei an zwei berittenen Polizisten. Erstaunlich, wie ruhig die Pferde blieben, als wir uns mit unserem lärmenden Flugmobil an ihnen vorbei schoben.
Ich versuche meiner Unruhe über die Verspätung Herr zu werden, indem ich der Stewardess im Kauderwelsch aus Englisch und Norwegisch meine Situation erkläre. Sie lässt über die Piloten abchecken, ob ich noch eine Chance hab, den Anschlussflug von Oslo nach Bodø zu bekommen. Fehlanzeige. Sie gibt sich solche Mühe mir zu erklären, was geht und was nicht. Ich verstehe mal wieder nur jedes 10. Wort, nehme mir vor, irgendwann so heftig englisch zu lernen, dass ich die restlichen neun auch noch verstehe und einige mich mit ihr auf die einfache Aussage, dass ich mich auf unserem Ziel-Flughafen Oslo-Gardermøn am Norwegian-Schalter melden soll. Beim Aussteigen nennt sie mir noch das Abfluggate - toller Service! Ha det! (ist norwegisch und heißt so viel wie: Machs gut!)
Zu spät! Ich stehe nicht nur an falschen Kassen, sondern auch an Flughafen-Kofferbändern, auf denen mein Gepäck als letztes vom Band rollt. Besonders dann, wenn Frau es eilig hat. Ich nutze die Zeit für einen Schwatz mit einer Frau aus meinem Flug. Sie macht mir Mut: Ihr ist in Madrid ähnliches passiert ... mit dem Ergebnis, dass sie übernachten musste. Na prima.
Mir wird innerlich ganz blass zumute: ich denke an mein heimatliches Sparkassenkonto und mein dort nicht vorhandenes Geld. Denn es ist fraglich, ob die Fluglinie die Kosten übernimmt, da ich ja die besagte Umsteigezeit von 90 min nicht eingehalten hab. Großzügigkeit könnte sein, muss aber nicht.
In mir meldet sich wieder das mulmige Gefühl der „falschen Kassen“...Der Anschlussflug ist weg! Eine nette Frau am Norwegian-Schalter hört sich mein schlechtes Englisch an, um mit ihrer Chefin meinen Fall zu besprechen und um mir mitzuteilen, dass ich zwar auf einen Flug um 16 Uhr umbuchen kann, mich der Spaß aber noch einmal 53 Euro kostet. Zum ersten Mal fand ich dieses begonnene Abenteuer nicht mehr lustig. Diskussion half nichts - wie auch, wenn frau der Diskussionssprache nicht mächtig ist.
Also gut (oder schlecht): umbuchen, bezahlen. Ähhhmmm, ja:
Bezahlen!!?? Aber wie? Mit EC-Karte!
Wie, geht nicht!??
Nein, nur Master, Visa etc.
Na gut (oder wieder schlecht), dann eben bar. Ich zücke meine Euroscheine.
Oh, nein, Euro geht auch nicht, nur Kronen.
An dieser Stelle wurde ich innerlich noch blasser, als ich es schon war. Ich hatte kein einziges bares Krönchen bei mir, wollte erst in Bodø am Bankautomaten abheben. Ich frage, wo es hier im Flughafengebäude einen Bankautomaten gibt. Das wusste die nette Frau hinter dem Norwegian-Schalter aber nicht, sie muss hier kein Geld abheben. Ahja.! Aber unten in der Halle kann ich Bargeld tauschen. O.K., ich ziehe also mit meiner inneren Blässe und äußerem langen Gesicht Richtung Groundfloor. Ich gebe den Bankautomaten noch nicht auf. Und mein norwegischer Reiseengel schien mich noch nicht aufgegeben zu haben. Ich stolperte förmlich über den Automaten, der mich sogar mit einer deutschsprachigen Bedieneroberfläche verwöhnte. Dann der Schock! Ich wurde innerlich nicht nur blass, sondern gänzlich farblos: ‚Ihre Bank verweigert die Anerkennung der Karte!’
Ups...ich dachte spontan an Rückflug.
Aber nicht mal den hätte ich ja bezahlen können. Es stellte sich jedoch zum Glück heraus, dass der angeforderte Betrag über dem Maximalbetrag einer Abbuchung am Automaten lag. Nach einem nochmaligen Versuch stand ich mit 2000 Kr. wieder vor der netten Frau am Norwegian-Schalter. Warten.
Dass sich in sofern lohnte, da ich eine Umbuchungsbestätigung bekam und die fröhliche Mitteilung , dass ich nichts bezahlen muss. Juhu! Ich checkte mein 19,38 kg-Täschchen (maximal 20 kg waren kostenfrei erlaubt,... puhhh!) ein und gönnte mir für die eingesparten Kronen einen Flughafenautomatenkaffee für umgerechnet 2,50 Euro. Dazu eine Pool-Position im Flughafengebäude für eine fünf stündige Wartezeit und ein leckeres Schnittchen meiner Schwester als letzten Gruß aus der Heimat. Ich hatte innerlich wieder an Farbe gewonnen und in mir wuchs nun doch ein großartiges Gefühl, unterwegs zu sein. Atempause.
Die nächsten 40 Kronen investierte ich in den erfolglosen Versuch, Ann Karin Hansen, meine Kontaktperson in Bodø, per E-Mail zu erreichen. Also nehme ich all meinen Mut zusammen und rufe sie an. Das erste Mal, dass ich persönlich Kontakt zu ihr aufnehme. Es klappt. Irgendwie kapiere ich, dass ich nicht via Taxi ins Org.büro fahren muss, sonder sie mich am Flughafen abholen wird. Ach, so scheinen sich meine Pannen immer wieder auszugleichen. Meine Flughafenzeit in Oslo-Gardermøn geht zu Ende.
Ich sitze am Gate 21. Langsam finden sich mehr und mehr Menschen hier ein. Bei einem Last-Minute Versuch noch ein paar Brocken Norwegisch zu lernen aus Stefans Reisewörterbuch merke ich, dass ich totmüde bin. Dabei hat die Reise gerade erst begonnen.

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