Freitag, 2. Januar 2009

26 Der brummende Stein

Und dann plötzlich ein leises gleichmäßiges brummen.
Mit ebenmäßigem Klang erfüllt es die Luft. Einem Klang aus einer anderen Zeit. Einer Zeit, als die Steine noch sprechen, noch ‚brummen’ konnten.
Der Klang wird geboren aus der rotierenden Bewegung eines länglichen Steins, der an einer Schnur in schneller kreisender Drehung über dem Kopf des Spielers ähnlich einem Lasso geschwungen wird. Die Luft, der Stein und die geschwinde Bewegung erzeugen einen archaischen Klang, ein „brummen“ .
Dieser Klang gab dem Instrument seinen Namen: „brummer“
Das Programmheft zum Konzert, dass wir unter Einsatz all unserer Magenmuskeln auf der Fahrt zum Saltstraumen im Auto von Ann Karin falteten, gibt dazu folgende Auskunft:

‚Jeder Ort hat seinen eigenen Klang und seine eigene Musik. So wird die Musik geformt aus dem Ort, wie auch aus der Natur und nicht minder durch die Menschen und die verschiedenen Kulturen, die hier im Umland existieren.
Zentraler Bestandteil des Auftragswerkes ist der „brummeren“ – ein 5000 Jahre altes Instrument, dass vom Archeologen Hein Bjerck 1991 bei Tuv gefunden wurde. Im Konzert kannst Du den Klang eines „brummeren“ hören – den Hein Bjerk für eine Aufnahme in Zusammenarbeit mit dem NRK (Norwegisches TV) nachmachte. Gleichsam zentral ist die Inspiration der Orte für die neuere Musik – ein Volkston aus Tov und ein altes Kirchenlied geprägt vom samischen Joiken. Die Musik ist komponiert von Frode Fjellheim unter dem Einfluss traditioneller Elemente und nicht minder geprägt von arrangierten und kompositorischen Beiträgen der mitwirkenden Musiker. Das „Joiken“ übernimmt Mari Boine – arrangiert in Gemeinschaft mit dem Ensemble.
Niemand weiß, wofür der „brummende Stein“ von Tov gebraucht wurde, aber aus dem Wissen über ähnliche Instrumente in anderen Kulturen könne wir annehmen, dass er einen zentralen Platz in der Kontaktaufnahme mit dem Übernatürlichen hatte. Charakteristisch für den „brummenden Stein“ ist sein nicht vorhersehbarer Klang – und sein Pulsieren im eigenen Rhythmus. Aber wenn der „bummeren“ plötzlich „zuschlägt“, erschafft er einen brummenden Puls, welcher sicher die Steinzeitmenschen ebenso faszinierte wie uns heute.“
Ja, die Symbiose aus Ort, Mensch und Natur faszinierte.
Aus ihr entstand eine Musik, entstanden Klänge - die natürlicher nicht sein konnten. Ich wandte mich von der Bühne ab, um auf einen kleinen Hügel zu gehen, auf dem sich schon andere Konzertbesucher einen guten Platz gesucht hatten. Plötzlich erklang die Stimme Mari Boine’s. Ich hatte auf meinem Weg nicht bemerkt, wie diese kleine, ruhig wirkende Frau von ihrem Platz auf der Bühne aufgestanden und an das Mikrophon getreten war. Ihre Stimme erreichte mich warm und doch fremd, als käme sie aus einer anderen Zeit, einem anderen Leben. Unendliche Erdung ging von ihr aus, ebenso innig wie sanft wie sehnsüchtig wie fordernd. Meine Sinne vermischten sich. Wurden Eins im Klang der Musik und dem Blick in das umgebende Land.
Die Stimme Mari Boine’s fährt unter die Haut, ihr nordischer Gesang schickt den Blick hinunter über das breite, silbern schimmernde Wasser des Malstroms, wieder hinauf zu den Bergen, deren Gipfel sich gerade vom Zauber des Himmels berühren lassen. Ich kehre zurück vor die Bühne, setze mich unmittelbar davor auf den Boden, schließe meine Augen und verliere mich – im Klang, im Ort, im Augenblick, im SEIN.
Ich war angekommen...

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